
Klostergut und Heiligberg
Weingut Acústic Celler und Weingut Celler de l'Encastell
Binnen einer Generation haben sich die katalanischen Regionen Priorat und Montsant an die Weltspitze katapultiert.
Das Ganze sieht aus wie eine Zielscheibe. Innen ein schwarzer Kreis. Drumherum ein weißer Ring. Der schwarze Kreis sind die Schieferböden des Priorat, der weiße Ring die Kalkböden des Montsant. Wer bei solch ungewöhnlicher Anordnung zweier Weinregionen historische Gründe vermutet, liegt falsch. Noch vor gut dreißig Jahren waren die beiden Appellationen Niemandsland.
Lediglich ein ehemaliges Klostergut (= Priorat, womit schon einmal der Name erklärt wäre) füllte Weine in Flaschen. Was dann geschah, kam einem Goldrausch gleich. Junge Önologen entdeckten im Priorat – 100 km südwestlich von Barcelona gelegen – das Potenzial der steilen Schiefer-Weinberge, bestückt mit den autochthonen Rebsorten Garnatxa und Carinyena. Beseelt waren die Pioniere von dem Gedanken, ureigen katalanische Spitzenweine zu erzeugen. Was ihnen gelang: Das Priorat schloss binnen kurzem zu den großen "kastilischen" Top- Regionen Rioja und Ribera del Duero auf – zog nach Meinung vieler Experten sogar an ihnen vorbei. Die Rotweine zeigen eine nie gekannte Wucht, unterfangen von der vibrierenden Schiefermineralik, die bei aller Konzentration die Trinkfreude erhält. Die meisten der Pioniere waren Auswärtige, von Geldgebern versorgt mit reichlich liquiden Mitteln. Nicht so Carme Figuerola und Raimon Castellví von den Celler de l’Encastell. Auf den wenigen Hektar umfassenden, bis zu 100 Jahre alten Familien-Weinbergen begann das Paar um die Jahrtausendwende, Weine zu erzeugen. Ein Blick auf Raimons Hände zeigt, wer hier in den steilen Terrassen bei extremer Hitze auf den Llicorella genannten, eisenhaltigen Schieferböden die Kärnerarbeit leistet. Minimalste Erträge um die 13 Hektoliter pro Hektar machen den Top-Wein "Roquers de Porrera" zu einer Urgewalt. Er lotet die Grenzbereiche dessen aus, was an Dichte und Tiefe von den Sinnen zu bewältigen ist. Neben diesem Meditationswein wirkt der Zweitwein "Marge" geradezu schlank. Was er selbstverständlich mitnichten ist! Doch zeigt sich diese Cuvée aus Garnatxa, Merlot und Cabernet Sauvignon lebhafter und weniger melancholisch.
Neben Schiefer zählen Kalkböden zu den Ausnahme-Terroirs. Womit wir ins Montsant wechseln. Auch hier uralte Weinberge, auch hier die Rebsorten Garnatxa und Carinyena. Beflügelt vom Erfolg des Priorats eroberten sich junge, ehrgeizige Winzer das Montsant. Der vielleicht kreativste Kopf ist Albert Jané von Acústic Celler. Von einem hochtechnisierten Cava-Gut stammend, wandelte er sich zum führenden Vertreter der önologischen Minimalisten: "Was mir vorschwebt, sind pure, ungeschminkte und unverstärkte Weine – unplugged eben, denn das bedeutet Acústic im Katalanischen." Anders als der Schiefer geben die Kalkböden den Weinen mehr Schliff und polieren die roten Fruchtaromen wunderbar heraus. Doch ob "Heiligberg" oder "Klostergut" – mit diesen Weinen fühlen Sie sich dem Himmel näher!
Gotthard Scholz
(WEIN NEWS März 2016)