Verschiedene Weinsorten in edlen Gläsern präsentiert

Fünfzig Jahre Bescheidenheit

Weingut Tenuta Musone / Weingut Belisario / Weingut Murola

Einst war der Verdicchio der berühmteste Mittelitaliens. Heute ist er nur noch der Beste.

Als sich vor fünfzig Jahren unter dem Decknamen "Teutonengrill" die deutsche Käfer-Flotte über den Brenner Richtung Adria in Marsch setzte, war der alte Badeort Rimini eines der ersten Basislager. Plietsche Barbesitzer lösten logistische Engpässe, indem sie den in Strömen fließenden Wein aus den benachbarten Marken heranschafften. So gelangte der Verdicchio als erster italienischer Weißwein in zu Berühmtheit. Unterstützt wurde dieser Erfolg durch eine putzige Idee: die formschöne Amphorenflasche – quasi das weiße Pendant zur Bastflasche des Chiantis. Diese einzige Marketingidee, die man in den jemals hatte, lastet noch heute auf der Region. Zwar gibt es die Amphore längst nicht mehr so häufig, doch der Ruf als Billigheimer blieb. Da mit ergibt sich die paradoxe Situation, dass heutige zwar qualitativ die gesamte mittelitalienische Konkurrenz deklassieren, sich aber beim Preis hintanstellen müssen.

Das Verdicchio-Kerngebiet sind die Castelli di Jesi, jene trutzigen Bergdörfer, von deren Zinnen man einen zum Heulen schönen Blick über die Hügel zur Adria hat. Die Verdicchios strotzen vor Kraft und Mineralität, getragen von einer sehr milden Frucht. Umgeben von 30 ha allerbester Weinberge schlummerte hier bis vor kurzem die Cantina Colognola einen Dornröschenschlaf, bis der örtliche Waschmaschinenfabrikant Walter Marini dieses Kleinod wachküsste. Mit einem spektakulären Kellerneubau und einem exzellenten Önologenteam katapultierte er den Verdicchio "Via Condotto" über Nacht an die Spitze.

Die zweite Anbauzone ist das Tal des Renaissancestädtchens Matelica, das sich hinter der ersten Bergkette des Apennins erstreckt. Dank des kühleren Klimas fallen die Verdicchio di Matelica lebendiger und fruchtbetonter aus. Der wohl beste Erzeuger des Gebiets, die Cantina Belisario, wird vom Kultweinführer Gambero Rosso regelmäßig mit seinen "Gläser" genannten Prämierungen überhäuft. Gäbe es einen Preis/Gläser-Koeffizienten, läge Belisario italienweit uneinholbar vorn. Uns besonders angetan hat es der "Vigneti del Cerro", ein exzellenter Einzellagenwein, den man sich alle Tage leisten kann und der u.a. mit zwei Gläsern im Gambero Rosso ausgezeichnet wurde.

Keine mittelitalienische Region kann die Spitzenstellung des Verdicchios gefährden – außer die Marken selbst. In den letzten Jahren widmet man sich dort einer weiteren Rebsorte, dem Grechetto. Insbesondere das Weingut Muróla hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen vergessenen Schatz zum Strahlen zu bringen. Der Grechetto des Guts bietet viel Substanz für den Winter. Und all die schwelgerischen Aromen von Blüten, Orangen und Mandeln, um die Frühlingssehnsucht zu stillen. Er passt also perfekt in die Zeit. Genießen Sie das flüssige Glück der Marken jetzt. Denn wer weiß, vielleicht haben die doch mal wieder eine Marketingidee. Dann wäre sie sicher dahin, die Bescheidenheit.

Gotthard Scholz

(WEIN NEWS März 2015)