Verschiedene Weinsorten in edlen Gläsern präsentiert

Italienische Nordlichter

Azienda Agricola Feliciana und Weingut La Raia

Warmer Süden, wohlhabender Westen, geheimnisvoller Osten. Nur eine Himmelsrichtungsrichtung hat Imageprobleme – eine Gegenrede.

Der Norden ist im Allgemeinen nicht so positiv besetzt: Er klingt nach Kälte, Nordpol und zu wenig Licht. Ganz anders der Norden – da wird am Ende des Tunnels das Licht meist so heftig angeknipst, dass die hektische Suche nach der Sonnenbrille beginnt. Auch die Temperaturen sind für alle, die den dunklen gotischen Wäldern entkommen sind, schon ganz angenehm (auch wenn der Sizilianer jetzt müde lächelt). Und es gilt einen weiteren Vorteil zu nennen, der sich vorwiegend im Untergrund abspielt: Es ist die Nähe der Alpen mit der unweigerlichen Folge, dass felsige Böden kaum zu vermeiden sind. Und nun kommt der Clou dieses langen textlichen Anlaufs: Reichlich Sonne von Süden, angenehm kühle Nächte und felsige Böden sind ideale Brutbedingungen für fruchtig-mineralische von Struktur und Brillanz. Kein Wunder, dass sich die guten Reben an die Alpen ankuscheln!

Und wer ist führend in Aufzucht und Hege? Da wäre zunächst Massimo Sbruzzi zu nennen, der in einem kleinen lombardischen Weingebiet an der Südspitze des Gardasees werkelt und glücklicherweise ein Sturkopf ist. Er opponiert als unabhängiger Landwirt und Winzer gegen alle Versuche der geschmacklichen Vereinheitlichung. Den landwirtschaftlichen Mischbetrieb seiner Eltern hat er zu einem Agriturismo mit angeschlossenem Restaurant weiterentwickelt, in dem er fast ausschließlich selbst erzeugte Produkte anbietet. Dieser Wille zur Unabhängigkeit prägt auch seine Weine Felugan und Torfel. Die sind von so eigenständiger Klasse, Spielfreude und Eleganz, dass es eine Pracht ist.

Zwei Stunden weiter in südwestlicher Richtung müssen wir Ihnen eine -Story auftischen, die wie ein schlechtes Drehbuch klingt. Der sympathische, aber mittellose englische Student verliebt sich in die hinreißend schöne Tochter des wohlhabenden italienischen Unternehmers. Beide träumen von einem Biobauernhof mit Weinanbau. Und was macht der eifersüchtig-behütende Papa mit den spinnerten Kindern? Er kauft den beiden ein Weingut und stellt ihnen – sicher ist sicher – einen der begabtesten Önologen des Landes, Piero Ballario, an die Seite. Man kann jetzt neidisch sein oder das alles pädagogisch ganz entsetzlich falsch finden, aber die Weine, die bei dieser Erziehungsmethode herauskommen sind einfach eine Wucht! La Raia gehört zu den wenigen Demeter-zertifizierten Weingütern und der Gavi gehört zum Besten, was ein Weißweinglas erleben kann. Na, wie klingt der Norden jetzt?

Wendelin Niedlich
(WEIN NEWS Mai 2016)