Opulente Weihnachtsweine

Dieses Duell der samtenen Superhelden kennt am friedlichen Ende nur Sieger: Italiens Passimiento gegen Australiens Aussimento

Was schmeckt noch üppiger, anschmiegsamer und weihnachtlicher als ein Rotwein aus vollreifen Trauben von besten Weinbergen? Ein Rotwein aus getrockneten, voll reifen Trauben aus besten Weinbergen! Passimiento nennen italienische Winzer diese Art Wein, bei der die Trauben vor der Kelter zunächst in klimatisierten Räumen aufwendig trocknen. Ein Teil des Wassers verdunstet, wodurch sich die Aromen konzentrieren und dabei gleichzeitig an Reife und Sanftmut gewinnen.

Berühmt wurde die Passimiento- Methode durch den Amarone della Valpolicella, dieses luxuriöse Monument unter Italiens Rotweinen. Glücklicherweise haben findige Winzer Wege gefunden, den samtenen Passimiento-Geschmack auch Normalsterblichen zugänglich zu machen – unter ihnen auch der geniale Önologe Maurizio Biscardo. Ein ums andere Mal gelingt es Signor Biscardo, die Konkurrenz mit komplexen Rotweinen für geradezu unverschämt kleines Geld zu düpieren*. Sein neuester Geniestreich gelang ihm mit dem "Mavum", einer Cuvée aus getrockneten Corvina-Trauben und Cabernet Sauvignon, die sich souverän die Goldmedaille auf der Mundus Vini 2016 sicherte.

Weintechnisch noch näher am Original ist der Ripasso. Bei dieser Weinart wird den typischen Valpolicella-Reben Corvina, Corvinone und Rondinella während der Gärung getrockneter Amarone-Trester zu gesetzt. Diese Zweitverwertung gibt ein deutliches Mehr an adventlicher Substanz und katapultiert seidige Rotweine wie den Ripasso "Carlo Scala" an die Spitze der Publikumsgunst. »

Der Ruf des Passimiento hat mittlerweile das andere Ende des Globus erreicht – und fand dort mit Peter Gajewski einen mächtigen Fürsprecher. Gajewski gilt als eine Ikone des australischen Weinbaus, war er doch mehr als 20 Jahre für den legendären Penfolds Grange zuständig, den geschichtsträchtigen und teuersten Shiraz des Kontinents. Getrieben vom positiven Ehrgeiz, es sich noch einmal zu beweisen, wechselte Gajewski vom Penfolds-Konzern zum Familienweingut Byrne Vineyards und entwickelte dort seinen "Aussimento". Die Methode, die er dabei anwendet, weicht vom italienischen Vorbild ab. Die Trauben trocknen direkt am Rebstock, d.h. sie werden über den Reifehöhepunkt hinaus hängen gelassen. Das stabile, sehr trockene Klima und die exzellenten Muschelkalkböden am Murray River, South Australia, lassen dieses risikoreiche Vorgehen zu.

Der "Double Pass Aussimento" ist eine Cuvée aus je zur Hälfte getrockneten und normal geernteten Shiraz-Trauben. Mit seinem "Flavabom" geht Gajewski dann aufs Ganze und nimmt den Amarone ins Visier. Wenn ein australisches Önologen-Schwergewicht die große italienische Weintradition herausfordert, dann bedeutet dieses Duell für uns Genießer nichts weniger als ein Fest der Sinne. Aussimento oder Passimiento? Die Entscheidung findet unter Ihrem Weihnachtbaum statt!

Gotthard Scholz
(WEIN NEWS Dezember 2016)

*So wurde sein Assurdo Rosso gekürt als "Bester italienischer Rotwein 2015".