Buddha und Barolo

Massimo Rattalino

Als ein Gradmaß für Edelreben gilt der geschmackliche Wiedererkennungswert. Und der ist bei so stark ausgeprägt wie sonst nur noch beim und dem . Nebbiolo ist der Stoff, aus dem die beiden großen Piemonteser Rotweine Barolo und Barbaresco sind. Der Name der spätreifenden Traube leitet sich vom Nebel (nebbia) ab, der im Herbst in den Weinbergen aufsteigt – und schon daran lässt sich erahnen, dass sonnige Fruchtaromen nicht zum aromatischen Markenkern der Rebsorte zählen. Was also macht Nebbiolo so unverwechselbar? Gaumen und Nase haben es bei der Antwort weitaus leichter als die Sprache, sind es doch die Tannine, genauer: die guten, süßen, markanten Tannine, die den Unterschied machen.

Sprachlich wird das gern mit Herbstlaub, Waldboden, Leder oder Trüffel umschrieben, die Süße findet sich als Rose wieder. Dazu kommt dann eine hintergründige Frucht, die ganz ungewohnt für einen Rotwein in Richtung Orangenzeste, Rhabarber und Kirsche geht. Ins Orangene spielt auch die für so mächtige Weine überraschend helle Farbe. Sie sehen, Nebbiolo ist ein Monolith, der die Niederungen geschmacklicher Moden weit überragt.

Vor 15 Jahren hat sich Massimo Rattalino entschieden, sein Leben fürderhin voll und ganz dem Nebbiolo zu widmen. Als Spätberufener arbeitet der einstige Ingenieur in Weinberg und Keller so, wie ein Zenbuddhist den Kies harkt: in meditativer Ergebenheit gegenüber den önologischen Traditionen. Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit in den Abfolgen, Klarheit – das sind Begriffe, mit denen Massimo Rattalino sein winzerisches Handeln umschreibt. Wie weit er damit persönlich auf dem Weg der Erleuchtung vorangeschritten ist, vermögen wir nicht zu sagen (er macht jedenfalls einen zutiefst in sich ruhenden Eindruck) – seine Weine jedenfalls erstrahlen mit einer Aureole, die wir schlicht als Geschenk begreifen. Es war der Barbaresco Quarantatre 43*, dessen ätherische Eleganz uns dermaßen in den Bann zog, dass wir Ihnen dieses Weingut einfach präsentieren mussten. An diesem Wein ist kein Gramm Fett zu viel, was die Finesse in feinste Verästelungen treibt – allerdings zugegebenermaßen auf Kosten der Muggeligkeit. Die findet sich umso mehr beim Barolo Trentaquattro 34, und zwar ohne jegliche Neuholzunterstützung. Allein die vierzig Jahre alten Rebstöcke aus der Einzellage Bric Bergera bei Novello bewirken diesen Ansturm der komplexen Tannine, dem man mit wohligem Schauer erliegt.

Gotthard Scholz
(WEIN NEWS Dezember 2016)

*Der tiefwurzelnde Ordnungssinn des Ingegnere Rattalino ergreift auch die Weinnamen: die erste Zahl markiert die Weinart (z.B. 4 für Barbaresco), die zweite die Reihenfolge, in der die Weinberge in den Besitz der Familie gelangten. Einsen werden merkwürdigerweise nicht vergeben.