Der verrückte Weinmacher

Dirk Würtz vom Weingut Balthasar Ress hat die ganz traditionelle Philosophie des Rheingaus wiederbelebt: Lass die Weine mal machen!

Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, was das Wort "verrückt" bedeutet? Idealerweise bezeichnet das jemanden, der etwas verrückt – also keinen Stein auf dem anderen lässt und Vorgefundenes grundsätzlich in Frage stellt. In diesem Sinne ist Dirk Würtz ein positiv Verrückter. Nach kurzer Schnupperzeit beim Weingut Weil begann der Rheinhesse daheim selbst Wein zu machen, kam als Weinblogger zu Ruhm und Ehren in der Szene und wurde vor einigen Jahren vom Rheingauer VDP-Winzer Christian Ress als Betriebsleiter angeheuert. Dessen Weingut stand unter der Ägide seines von mir hoch geschätzten Vaters Stefan Ress lange Jahre für einen traditionellen, bisweilen etwas phenolischen Weinstil mit introvertierten Rieslingen, die oft viele Jahre brauchten, bis sie zu voller Schönheit erblühten.

Mit Dirk Würtz zog dann nach einigen Jahren der halbherzigen Moderne ein neuer, aber eigentlich noch älterer Typus des Anbaus und der Weinbereitung in den wenig pittoresken, in einer ehemaligen Genossenschaft beheimateten Ress'schen Keller ein: Ganz große Sorgfalt und viel Arbeit im Weinberg, im Keller dann eher gekonntes Nichtstun à la 19. Jahrhundert. Heute werden alle Gutsweine aus besten Rheingauer Lagen spontan, mit den eigenen Hefen, vergoren. Die Weine liegen ewig lange auf der Hefe, werden kaum bearbeitet und reifen immer häufiger im großen Holzfass. Das Ergebnis sind erneut in der Jugend zum Teil etwas eckige Weine, die aber später meist mit ungemeiner Cremigkeit, Länge und viriler, ausdrucksvoller Spannung glänzen, kurzum: Charaktervolle Gewächse, die ihresgleichen suchen und das immense Potenzial des Rheingaus in faszinierender Art und Weise deutlich machen.

Zwei der Weine, die ich für Sie ausgewählt habe, stammen aus Hallgarten. Die oberhalb Hattenheims gelegene Gemarkung verfügt mit über die kühlsten Lagen des Rheingaus und war früher das Armenhaus der Region, wo die Winzer jedes Jahr zitterten, ob die Rieslinge auch reif werden. In Zeiten des Klimawandels änderte sich das grundlegend – und so findet man hier heute auch in warmen Jahrgängen rassige Rheingauer Rieslinge. Der Visionär Stefan Ress erkannte das frühzeitig und sicherte sich die besten Hallgartener Lagen. Genießen Sie nun die Resultate dieses vorausschauenden Handelns in Verbindung mit der radikalen Laissez-faire-Weinmacherkunst von Dirk Würtz!

Gerd Rindchen
(WEIN NEWS November 2015)