Verschiedene Weinsorten in edlen Gläsern präsentiert

Das Coming-Out der Biowinzer

Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland

Sie lästern gerne über Bioweine? Vorsicht! Vielleicht haben Sie selbst einen im Glas. Denn immer mehr unserer Spitzenwinzer stellen um.

Wir waren’s nicht. Ehrlich. Und doch: Quasi über Nacht haben sich die Bioweine bei Rindchen vervielfacht – einfach weil altvertraute Winzer auf ökologischen Anbau umstellen. Wer bei bio an Weine denkt, die mit ihren Vögelchen- und Marienkäfer-Etiketten den ewigen Kindergeburtstag verheißen, um dann den Gaumen unvermittelt mit der brettharten Realität zu konfrontieren, der sei beruhigt: Genau um diese Sorte Wein geht es nicht. Worum aber dann?

Beginnen wir mit einer erfreulichen Tatsache: Nie war das Wein-Niveau dank technischem Know-how so hoch wie heute. "Mit moderner Kellertechnik allein kannst Du dich nicht mehr von den Großerzeugern absetzen", sagt deshalb José Vicente Domeco de Jarauta. "Den Unterschied zwischen Alltagswein und Spitzengewächs macht heute einzig der Weinberg. Nur wer da naturnah arbeitet, erzielt hocharomatische Trauben." Kunstdünger beispielsweise führt dazu, dass die Reben – bequem wie sie sind – nur flach wurzeln und nicht in die geschmacksgebenden, tiefen Bodenschichten vorstoßen müssen. Chemische Behandlung von Schädlingen hat den bekannten Grippemittel-Effekt: Die Traube hält sich wacker, ist aber geschmacklich schlapp. Alle guten Winzer halten deshalb zur Schädlingsabwehr das Öko-System im Weinberg durch Begrünung und Artenvielfalt intakt. Die Bodega Domeco de Jarauta aus der besitzt schon lange das Bio-Zertifikat. Doch auf den Etiketten sucht man danach vergeblich. "Wir wollen nicht in die falsche Ecke gestellt werden", formuliert José Vicente eine weit verbreitete Befürchtung. Einzig bei seiner Sonderedition Rioja Ecológica zeigt er Flagge – der Wein zählt längst zu den Rindchen Klassikern.

Dem alten Klischee vom Öko-Winzer kommt der Südfranzose Eric Mari mit seinen wirren Haaren und den melancholischen Augen vielleicht am nächsten. Auf seinem Weingut La Prade Mari arbeitet er mit naturopathischen Methoden – einem ganzheitlichen, ökologischen Ansatz. Weil er die Arbeit im Weinberg der Bürokratie vorzog, hat er lange auf eine Zertifizierung verzichtet. Geändert hat er seine Meinung, als 2012 eine EU-Verordnung für Biowein in Kraft trat, die endlich auch die Arbeit im Keller regelte. So gelten strengere Grenzwerte für Sulfite und sind Eingriffe wie das Entsäuern nicht mehr erlaubt. "Ohne Zertifikat stehst du vor den Kunden", fasst Eric Mari seine Erfahrung zusammen, "und siehst in ihren Augen nur den Satz: Du kannst mir viel erzählen! Denn mit gesetzlich nicht geschützten Begriffen wie Naturnähe, Nachhaltigkeit oder Terroir wirbt heute jeder Wein-Multi." Um seine Glaubwürdigkeit zu untermauern, hat er die formalen Hürden genommen. Sein "Secret de Fontenille", seit Jahren ein absoluter Publikumsliebling, trägt jetzt auch offiziell den Titel Biowein – ohne Aufpreis und in der von Ihnen gewohnten, bestechenden Qualität.

Die Fattoria Grignano, östlich von Florenz in der Rufina beheimatet, gehört zum Besitz der Modedynastie Inghirami. Seit fünfzig Jahren gönnt sich die Familie den Luxus einer traditionellen, nahezu vor-industriellen, heute würde man sagen: ökologischen Wirtschaftsweise. Doch erst die Top-Önologin (und begeisterte Sportjet-Pilotin, soviel zum Öko-Image) Barbara Tamburini machte vor drei Jahren Nägel mit Köpfen. Ihre erste Amtshandlung war die Zertifizierung, ihre zweite, die Qualität der Weine nochmals zu steigern – letzteres allein dank ihrer individuellen Klasse.

Kommen wir schließlich zu Lukas Kesselring und damit zum Biowinzer Next Generation. Als Lukas vor rund zehn Jahren mit dem Weinbaustudium begann, da arbeiteten große Leitbetriebe der wie Dr. Bürklin-Wolf schon biologisch. Für den jungen Senkrechtstarter hat bio oder vegan daher nichts mit alten ideologischen Zöpfen zu tun. Das Thema ist durch. Für seine Generation ist ökologischer Anbau schlicht eine gängige Methode, um bestmögliche Qualität zu erzielen.

Ist bio also geschmacklich besser? Grundsätzlich: Nein. Aber bei den vier vorgestellten Winzern eindeutig: Ja! Es ist Zeit für Ihr persönliches Finding Out.

Gotthard Scholz
(WEIN NEWS Mai 2016)