
abgelaufen
Kontor Eppendorf: Ausstellung von Inge Ramcke
23.06. - 01.08.2023
Sie sitzt in einem Hamburger Pflegeheim und schaut vor sich hin. Hinein in ihre eigene Welt – schicksalsergeben lässt sie ihre Zeit verstreichen.
Wo sie gerade ist, kann sie nicht mehr zuordnen. Sie realisiert aber, dass sie nicht da ist, wo einmal ihr Zuhause war. „Da muss ich nun durch“ ist ihr Standardspruch.
Sie ist meine Malfreundin. Eine echte Hamburger Deern, 1937 in Lockstedt geboren und fast ihr ganzes Leben lang in der Stadt geblieben, die sie über alles liebte.
Wenn ich sie besuche, kann ich Erinnerungen an bestimmte Menschen und Momente in ihr aufblitzen lassen, die irgendwo noch in ihr schlummern.
Den schönen Künsten zugetan war sie nicht nur eine begnadete Malerin, sie erfreute sich ebenso an Opern, Konzerten, Theater und Kunstausstellungen, die sie regelmäßig besuchte. Ihre Malerei erfüllte sie mit großer Leidenschaft. Ihre Werke wurden mit den Jahren immer markanter und ihr ganz eigener Stil verfestigte sich unverkennbar. In einigen Einzelausstellungen hat sie ihre Bilder der Hamburger Öffentlichkeit präsentiert und viele davon verkauft.
Sie lebte alleine in ihrer Wohnung und hat keine Familie oder Verwandtschaft mehr. Mit dem Älterwerden wurde sie ängstlicher und unsicher auf den Beinen. Mal- und Kunstreisen wurden zu beschwerlich für sie. Dass sie „mal ihre eigenen Dinge regeln sollte…“ war ihr wohl klar, doch schob sie dieses Thema mit einem unguten Gewissen stets vor sich her.
Dann war es zu spät. Sie stürzte in ihrer Wohnung und lag hilflos in der Küche. Nach 4 Tagen schlugen die Nachbarn Alarm ob des überfüllten Briefkastens. Sie kam mit einem „Falltrauma“ ins Krankenhaus. Ihr Gedächtnis ist seither nur noch in wenigen Bruchstücken vorhanden. An ihrem Krankenbett hing ein Schild: „Wenn Sie die Patientin kennen, bitte melden Sie sich bei der Station“.
Es wurde ein gesetzlicher Vertreter für sie bestellt, ein Pflegeheim in Hamburg ausgesucht und nach gerichtlicher Freigabe wurde ihre Wohnung entrümpelt. Ein Stück ihres Lebens entsorgt.
Sie weiß nichts davon. „Da muss ich jetzt durch…“.
Welch ein trauriges Schicksal.
„Hoffentlich mal nicht so enden…“ geht einem dabei unwillkürlich durch den Kopf.
Könnte mir so etwas auch passieren? Wenn ja, dann am besten ohne Aufschub die Initiative ergreifen und Vorsorge treffen für den eigenen mutmaßlichen Verbleib. Antworten auf die Fragen klären: Was passiert, wenn ich in meinem Zuhause stürze und mir nicht mehr selbst helfen kann? Wer soll im schlimmsten Fall einmal über mich bestimmen dürfen? Wo möchte ich meine letzte Lebenszeit verbringen?
Dank der Empathie des gesetzlichen Vertreters hatte ich die Möglichkeit, ihre Bilder, Mappen und Skizzenbücher aus ihrer Wohnung vor der Entrümpelung zu retten. Bilder eines Lebens. Es sind größtenteils Aquarelle, Hamburger Motive, Speicherstadt, aber auch Blumen und eine Vielfalt an gekonnter Ateliermalerei.
Es wäre jammerschade, wenn die wunderbaren Kunstwerke nicht weiterleben dürften.
Ein kleiner Dienst, den ich meiner Malfreundin vielleicht noch erweisen kann … eine Bleibe für die Bilder ihres Lebens.
Der gesamte Erlös für die Bilder kommt dem Hospiz „Hamburg Leuchtfeuer“ zugute – das wäre mit Sicherheit in Inge Ramckes Sinn.
Das Kontor
Kontor Hamburg-Eppendorf