Von Traditionen und Träumern

Castello di Cacchiano und Poggio Nibbiale

Einmal Old School, einmal Newcomer: Mit Castello di Cacchiano und Poggio Nibbiale treffen in der Welten aufeinander.

Nur um das mal einzuordnen: Wer als normaler Bürger 30 Jahre lang nicht umgezogen ist, fühlt sich schon ganz schön bodenständig. Der Buckingham Palace steht seit gut 300 Jahren an seinem Platz. Nun ja - darüber kann die Familie Ricasoli nur müde schmunzeln: Sie residiert schon seit mehr als 1000 Jahren im Castello di Cacchiano, südlich von Gaiole im Herzen des Chianti-Classico-Gebietes. Die Burg diente zur Verteidigung von Florenz gegen Siena, gegen Aragon oder wer auch immer die sanfte Hügellandschaft erobern wollte. Zur Stärkung der Abwehrkräfte wurde seit jeher rund um das Kastell Wein angebaut. Und 1872 entwickelte Bettino Ricasoli die berühmte Formel für Chianti: 70 Prozent , 20 Prozent Canaiolo und 10 Prozent weiße Malvasia. Mehr als 100 Jahre beeinflusste diese Formel den Weinbau zwischen Siena und Florenz. Aktuell gilt im Classico die Regel: Mindestens 80% Sangiovese, 20% weitere Rote, keine Weißweintrauben.

Der heutige Burgherr Giovanni Ricasoli-Firidolfi setzt noch viel stärker als sein Ahnherr auf die Sangiovese: 95% sind in seinem Classico enthalten, plus 5% lokale rote Sorten. Für ihn geht es auch um ein bestimmtes Geschmacksbild: "Unser Wein hat neben der herrlichen Kirschfrucht auch weiche Gerbstoffe und etwas erfrischende Säure. Wir trinken ihn zum Essen, wo er in Verbindung mit den toskanischen Speisen eine unglaubliche harmonische Verbindung eingeht." Der südliche Teil der Toskana - die Maremma - macht erst eine historisch kurze Zeitspanne im positiven Sinne von sich reden. Vor den 1930er Jahren handelte es sich um einen Malaria-verseuchten Sumpf. Erst das Trockenlegungsprogramm "Bonifica" machte sie zur heutigen liebreizenden Landschaft, die auch das bayrische Zahnarztehepaar Elke und Nikolaus Buchheim so tief beeindruckte: "Hier den eigenen Wein anbauen" - das war der Traum, den sie beginnend im Jahr 1996 mit Poggio Nibbiale verwirklichten. Das Gebäude war renovierungsbedürftig, der Grund eher eine felsige Schafweide. "Aber man konnte bis nach Elba rüberschauen, über Weinreben und Olivenhaine", erzählt Nikolaus Buchheim.

Natürlich holten sich die Buchheims Expertise ins Haus. Der Önologe Dr. Massimo Albanese bringt die biologisch mit sehr geringen Erträgen angebauten Trauben behutsam zur Vollendung. Die spontanvergorenen Weine reifen an einem ganz besonderen Ort, denn die Buchheims restaurierten den mittelalterlichen Gewölbekeller unter der Kirche "San Giovanni Battista" in Scansano. Der Stil der Morellino-Weine ist - dank des wärmeren Klimas der südlichen Toskana - etwas reifer und samtiger, verglichen mit den Sangiovese- Kollegen im Classico-Gebiet. Besonders wichtig war es den Buchheims - bei aller Liebe zur Kulturpflanze Wein - ein Stück der ursprünglichen Wildheit der Maremma zu erhalten. Ein großer Teil des Gutes wird der Natur überlassen mit Kork eichen, Ginster und wilden Olivenbäumen. Hier können Wildschweine durch die undurchdringliche Macchia stöbern. Und das Wappentier des Weinguts, der Rotmilan (il nibbio), soll hier noch lange seine Nistplätze finden.

Wendelin Niedlich
(WEIN NEWS September 2016)