Ungezähmtes Schnurren 2012 - Italien - Piemont

Virna Borgogno hat von ihrem Vater Lodovico gelernt, wie man einen guten Wein macht. Aber sie wollte keine Ruhe geben – und hat ihren Barolo neu definiert.

Sie ist eine Wilde, etwas Ungezähmte, die auch schon mal kratzen kann. Wer nur kuscheln will, sollte die Finger von ihr lassen. Manchmal ist sie auch ziemlich anstrengend und anspruchsvoll, aber ein Vorteil ist unübersehbar: In ihrer Begleitung wird es nie langweilig. Zuhause ist die schöne Rebsorte in den nebligen Tälern des Piemont. Sie heißt daher auch nicht zufällig: . Diesen Namen kennt nicht jeder, aber mindestens einen Wein, der daraus gemacht wird. Die ungezähmte Wilde hat das Tal verlassen und sich in der weiten Welt des Genusses einen großen Namen gemacht: Barolo. Ein Örtchen mit 721 Einwohnern. Ein Wein. Fast eine Marke.

Direkt am Dorfeingang von Barolo liegt das Weingut Virna, benannt nach der verantwortlichen Önologin und Winzerin Virna Borgogno. Früher führte ihr Vater Lodovico hier das Regiment und machte sehr guten Wein. Aber wie Kinder manchmal so sind: Virna wollte mehr. Sie studierte als erste Frau in Italien Önologie an der Universität von Turin.

Nur 12 Hektar Reben bewirtschaftet das Weingut, aber diese liegen in den allerfeinsten Lagen des . Virna optimierte die Pflege der Weinberge, reduzierte die Hektarerträge und arbeitete in den vergangenen Jahren den stoffigen Charakter der Weine immer klarer heraus. Ein guter Barolo lebt von der Substanz der Traube, nicht vom nachträglichen Ausbau. Und darum spielt bei Virna – und das war auch unter Papa Lodovico so – das große, traditionelle Holzfass aus slawonischer Eiche die Hauptrolle im Keller. Es führt und berührt den Wein, aber es dominiert ihn nicht. Einzig den Reben aus den Spitzenlagen Preda und Sarmassa ist der Kontakt mit dem kleinen Barrique- Fass erlaubt – jedenfalls zu 50 Prozent. Aber diese Trauben können auch vor Kraft kaum laufen und lassen sich von ein bisschen Eiche nicht aus der Spur bringen.

Es hat sich in den vergangenen Jahren schon angedeutet, aber im Jahr 2012 tritt es offen zutage: Der 2008er Barolo und der 2007er Preda Sarmassa zeigen etwas ganz Neues: Zum immer schon vorhandenen rustikalen Charme ist eine ganz große Eleganz hinzugekommen, die vielleicht auch die Herzen von Weinkennern öffnet, die bislang um Barolo einen Bogen gemacht haben. Virna hat Weine geschaffen, die eine phantastische Geschliffenheit zeigen, ohne den Markenkern zu verletzen. Kein Verrat also, sondern Barolo von einer spannenden Vielschichtigkeit, wie wir sie bei Rindchen’s Weinkontor noch nie hatten. Um im Anfangsbild zu bleiben: Auch die Wilden und Ungezähmten schnurren manchmal…

Wendelin Niedlich

(WEIN NEWS Dezember 2012) 

P.S. Das Ganze nochmal kurz und männlich: Barolo ist normalerweise wie Torsten Frings. Kraftvolle Aura, bärenstark, manchmal etwas rau. Er kann nichts dafür, dass die Gegner dauernd an ihm abprallen. Virna Borgogno macht nun einen Barolo mit der Präsenz eines Torsten Frings und der Eleganz eines Mario Götze. So was ist extrem selten. Ganz großer Sport!