Neue Ufer

Ein festlich gedeckter Tisch ist der perfekte Moment,
in dem ein Bordeaux seine Strahlkraft zu voller Größe entfaltet.
Vor einem halben Jahrhundert entdeckte eine rebellische Generation zusammen mit dem Lustprinzip auch die seidige Sinnlichkeit eines Saint-Émilions oder Pomerols. Die Merlots des rechten Gironde-Ufers passten besser zu ihrem Lebensgefühl als die strukturierten und bis dahin tonangebenden Cabernets des Médoc auf der anderen Seite. Die Entdeckung des rechten Ufers löste ein Geschmacksbeben aus, das weltweit ausstrahlte. 

Diese Episode zeigt, dass das Bordelais zwar traditionsreich – aber alles andere als traditionalistisch ist. Seit im 17. Jahrhundert holländische Ingenieure die Sümpfe des Medoc trocken legten, ging nahezu jede neue Entwicklung in der Weinwelt von hier aus: die Flasche, das Barrique, die lange Maischegärung, die moderne Rebenerziehung – aber auch vergängliche Moden wie die überkonzentrierten Keller-Boliden der Jahrtausendwende. Heutige Winzer weisen den Weg, indem sie sich auf die atlantische Eleganz ihrer terroirgeprägten Weine rückbesinnen. Die Ufer-Debatte ist längst beendet. Der Anspruch des Bordelais, die besten Weine der Welt in beeindruckender Individualität und Vielfalt zu erzeugen, bleibt bestehen. Wann entdecken Sie Ihren großen Bordeaux Moment? 

— Gotthard Scholz