Bordeaux aus dem Bilderbuch

Château Goudichaud

Schaut man sich die Châteaus der AOC Bordeaux abseits der Prominenz an, beschleicht einen das Gefühl, dass doch etliche dieser "Schlösser" mit Glanz und Gloria eher wenig gemein haben. Nicht, dass wir auf üppigen Protz stünden, aber einige könnten ihr Dasein durchaus als Doppelgarage im Industriegebiet fristen. Oder als größerer Geräteschuppen einer Schrebergartensiedlung.

Ganz anders das Château Goudichaud. Kein Geringerer als Victor Louis, Architekt des Grand Théâtre von Bordeaux, hat hier 1780 Hand angelegt. Lange Zeit diente es als Sommerresidenz der bordelaiser Erzbischöfe. Vor 90 Jahren konnte es die Familie Glotin erwerben, mit Henriette Glotin an der Spitze. Die Pionierin leitete als eine der ersten Kellermeisterinnen überhaupt die Geschicke eines renommierten Gutes. Und im Gegensatz zu anderen, die ihre Gemäuer lediglich bei entsprechend solventer Kundschaft öffnen und nur als Event-Location für Jetset-Partys vermieten, wird auf Goudichaud auch tatsächlich noch Wein gekeltert. Mit hochmodernem Fasskeller und allem was dazu gehört – nun in den begnadeten Händen des jungen Yves Glotin und seiner Önologin Sophie Horstmann.

Auch die Rebgärten befinden sich direkt vor den Toren, idyllisch eingebettet in ein Naturschutzgebiet und natürlich behütet von Wäldern und dem Flüsschen Gestas. Wenn ich mir mein Bordeaux-Château basteln könnte, genau so sähe es aus. Warum es noch immer ein Geheimtipp ist? Nun, es steht in der Appellation Graves de Vayres. Nicht zu verwechseln mit der ungleich größeren, berühmteren und vor allem viel teureren AOC Graves. Gemein haben beide den Kies (Graves), der von Flüssen aus dem Massif Central kommt. Dieser speichert nicht nur Wärme, die gerade Cabernet hier am Atlantik gut gebrauchen kann; er sorgt auch für eine gute Drainage der Böden beim Sauvignon Blanc, so es der nahe Ozean mit Regen mal wieder allzu gut meint. Von A bis Z also traumhafte Bedingungen für klassischen Bordeaux in Rot und Weiß. Einzig der moderate Preis passt nicht so recht zum herrschaftlichen Ambiente. Aber da drücken wir gerne mal ein Auge zu, oder?

Roman Bergold
WEIN-NEWS September 2020