Sardische Doppelspitze

Die Sarden sind ein gesegnetes Volk. Denn auf Sardinien gibt es nicht nur Meer und Sonne satt, sondern mit Cannonau und Vermentino auch zwei hinreißende Weine.

Die Sarden sind keine Italiener. Wenn Italiener Weine präsentieren, geschieht das mit einem Redeschwall, in dem es von importante, spettacolare und grandioso nur so wimmelt. Basilio Congiu hingegen lehnt sich zurück, sagt: "Bò!" – und spart selbst noch am o. Dabei haben wir eine Legende im Glas. Wir befinden uns in Oliena, inmitten der Barbaggia, der felsigen, schafbevölkerten Hochebene im Inselinneren, in der das sardische Herz schlägt. Der "Nepente" aus Cannonau-Trauben war immer der berühmteste Rotwein Sardiniens und dank Basilio Congiu ist er für uns auch wieder der Beste. Der Mann ist Präsident der Winzer von Oliena. ""Klingt bedeutend, ist aber lediglich ein Ehrenamt ohne Macht", sagt der Nebenerwerbswinzer. "Du musst überzeugen."

Unzählige Besuche waren vonnöten, viele Gläser Wein und langes Schweigen, dann hatte Basilio Congiu sein Ziel erreicht. Nur die besten Lagen sind heute für den Nepente zugelassen, die Erträge deutlich reduziert und die Trauben einer strengen Selektion unterworfen. Und so zeigt sich die reine Seele des Cannonau, dieser sardischsten aller Reben: mächtig, würzig und unendlich warm. Was man dazu isst, fragen wir. Lammkotelett mit Rosmarin? Oder vielleicht Zicklein? "Bò!", meint Basilio Congiu und lehnt sich zurück.

Das weiße Gegenstück zum Cannonau ist der Vermentino: saftig, mineralisch, kräuterwürzig, frisch – erstaunlich frisch sogar, vorausgesetzt, der Winzer versteht sein Handwerk. Denn bei frühherbstlichen Erntetemperaturen von gern mal 30 Grad kann der Wein schnell ins Alkoholisch-Plumpe wechseln. Bei zu früher Lese hingegen wird die Frische mit Banalität erkauft. Nach einigen schon sehr beachtlichen Versuchen haben wir für Sie jetzt den rassigen Vermentino gefunden, der uns seit langem vorschwebte. Er stammt vom Weingut Carlo Pili, das seinen Sitz in den meernahen Hügeln rund um die Hauptstadt Cagliari hat. Die Söhne des mittlerweile verstorbenen charismatischen Gründers erzeugen mit dem "De Jola" einen Vermentino von solcher Spannkraft, dass er geradezu nach einer Dorade im Salzmantel oder gegrillten Gambas schreit.

Gotthard Scholz

(WEIN NEWS Juni 2012)