Bordeaux für alle!

Château Haut Branda

Bordeaux ist eines der größten Anbaugebiete der Welt und bietet die ganze Bandbreite: Überteuertes, mittelmäßiges, aber auch Rohdiamanten: Château Haut Branda.

Gemeinhin ist das von Vorurteilen umrankt: Sehr teuer sei da alles, heißt es, Barone und Grafen residierten in ihren noblen Châteaux und für uns Normalsterbliche seien deren rare und kostspielige Weine nicht geeignet. Für eine gewisse Anzahl von Erzeugern, die sich hier traditionell eine goldene Nase mit Erzeugnissen von fragwürdigem Preis-Genuss-Verhältnis verdienen, trifft das zu, für das Gros der Winzer eher nicht: Das sind, wie in den meisten anderen Anbaugebieten der Welt, ehrliche, hart arbeitende Weinbauern.

Ein exzellentes Beispiel für einen solch überaus erfreulichen Betrieb ist das Château Haut Branda. Nathalie und ihr Bruder Bruno Ballet bewirtschaften naturnah und mit großer Liebe zum Terroir 57 Hektar erstklassiger Lagen in den AOCs Bordeaux und Graves de Vayres. Auf den wertvollen Ton- und Kalksteinböden fühlen sich die Bordelaiser Edelreben pudelwohl. Die durchschnittlich über 25 Jahre alten Rebstöcke wurzeln tief im Boden und ziehen sich so eine Extraportion Mineralität. Bruno und Nathalie sind "Wein-Bauern" im besten Sinne: Ihre Weinberge sind liebevoll gepflegt und in exzellentem Zustand; das Traubenmaterial, das sie zur Erntezeit einholen, ist kerngesund; die Vinifizierung sorgfältig und gewissenhaft, so dass hier in den Fässern einfach großartiges Grundmaterial liegt.

Was ihnen, wie vielen anderen Weinbauern, nicht so sehr liegt: Die sorgfältige Cuvéetierung der Weine, um das, was im Fass so verheißungsvoll liegt, auch optimal in die Flasche zu bringen. Dies zeigte sich exemplarisch im letzten Sommer, als mein Weineinkäufer Vitus Steinhorst und ich während der Bordelaiser Weinmesse Vinexpo bei Haut Branda zum Abendessen eingeladen waren (Nathalies Freund ist praktischerweise Schlachter, und das Entrecôte vom Rebholzfeuer, das wir da bekamen – oh la la...). Zu diesem Zeitpunkt hatten wir unseren ersten Wein, einen blitzblanken, strukturierten roten 2012er, schon eingekauft und waren und sind von diesem schönen äußerst begeistert. Bei diesem Gewächs handelt es sich, für Bordeaux äußerst ungewöhnlich, um einen reinsortigen . Beim Essen nun präsentierten uns Nathalie und Bruno voller Stolz als Fassmuster ihre Idee für den 2014er- Nachfolger: In diesem Jahrgang hatten sie eine exzellente Partie der Edelrebe geerntet und ein gerüttelt Maß davon in ihren Haut-Branda-Cuvéevorschlag hinein gegeben. Das Blöde war nur: Die beiden vertrugen sich überhaupt nicht und das Ergebnis schmeckte dementsprechend äußerst uncharmant. Also baten wir die beiden, uns zwei Tage später Proben aus allen Tanks und Barriques der 2014er Ernte zu ziehen und kehrten zum Weingut zurück. Vitus und ich machten uns frisch ans Werk, probierten hin und her, selektierten die besten Tanks vor – und waren zwei Stunden später am Ziel: Wir cuvéetierten aus den zwei besten Merlot-Tanks, fügten einen klitzekleinen Anteil Petit Verdot hinzu und hatten den perfekten Rotwein. Und dazu noch en passant die grandiose neue "Tête de Cuvée": Eine kleine, feine Spezial-Edition aus zum Teil barrique-gereiftem Merlot und Petit Verdot aus den besten Lagen in Graves de Vayres.

Der Ritterschlag dafür kam abends, als Yves Glotin, Mitinhaber des Handelshauses, über das wir Haut Branda beziehen und Besitzer des Nachbar-Châteaus Goudichaut, uns und andere internationale Kunden in sein Stadtschlösschen in Bordeaux eingeladen hatte. Völlig verblüfft erzählte er den anwesenden Chinesen, Koreanern, Engländern, Belgiern und Amerikanern: "Wir brauchen immer drei bis vier Wochen für unsere Cuvées. Und dann kommen Vitus und Gerd daher und nach zwei Stunden stehen da die perfekten Weine!" Ein stolzer Moment im Leben des betagten Weinhändlers – und natürlich der wahre Grund, warum ich Ihnen diese Geschichte in so epischer Breite erzähle. Die Resultate stelle ich Ihnen hier mit großer Freude vor. Ich hoffe, Sie können unsere Begeisterung für die ehrlichen Gewächse der sympathischen Geschwister Ballet teilen!

Gerd Rindchen
(WEIN NEWS März 2016)